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Oft geben sich Mobbingopfer selbst die Schuld. Sie sagen: „Ich bin nichts wert!“

Im Interview: Markus Glück

• Herr Glück, können Sie den Verein Buddy4you kurz vorstellen?
Buddy4you ist ein gemeinnütziger Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, an österreichischen Schulen über das Thema Mobbing zu informieren, vorzubeugen und auch intervenierend einzugreifen. Wir wollten ein ganzheitliches und nachhaltiges Programm ins Leben rufen, da es bereits unterschiedliche Organisationen gibt, die sich mit Mobbing auseinandersetzen – diese agieren meist nur in Einzelbereichen. Wir wussten auch, dass unser Programm nur funktionieren kann, wenn man alle Beteiligten mit ins Boot holt.

• Welche Folgen hat Mobbing?
Mobbing ist mehr, als nur Auslachen oder hinter dem Rücken Reden, das kann viel tiefergehende Auswirkungen haben – und ganz viele SchülerInnen nehmen das mit ins Erwachsenenalter. Je nach Dauer und Intensität, können Menschen auch ihr ganzes Leben lang darunter leiden, in Form von Angstzuständen, Essstörungen und Depressionen.

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Oft leiden Menschen ihr ganzes Leben lang, in Form von Angstzuständen, Essstörungen und Depressionen.

• Mobbing ist eigentlich ein geläufiger Begriff – leider. Denken Sie, dass Mobbing in letzter Zeit zugenommen hat, oder einfach nur mehr thematisiert wird?
Ich bin der Überzeugung, dass Mobbing in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat, aber es ist vonseiten des Bildungsministeriums kaum etwas in diese Richtung gemacht worden. Es wird Gewaltprävention an Schulen gemacht – Mobbing ist zwar eine Form von Gewalt, aber man müsste viel spezifischer vorgehen. Aus Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass Mobbing rapide zunimmt und die Dunkelziffer ist nochmals um ein Vielfaches höher. Studien haben belegt, dass ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler schon einmal Opfer von Mobbing war, bzw. auch schon einmal daran beteiligt war.

• Was sind die häufigsten Gründe für Mobbing?
SchülerInnen werden aus den unterschiedlichsten Gründen gemobbt, wegen ihrem Aussehen, ihrem Migrationshintergrund, ihrer Kleidung, usw. Studien beweisen aber, dass es gar nicht wirklich darum geht, sondern Mobbing hängt eher vom Charakter der Kinder ab. Ruhigere, ängstlichere Kinder aber auch sehr gute Schüler, werden eher zu Opfern als charakterstarke.

• Wie helfen Sie Schülerinnen und Schülern?
Wir helfen in drei Schritten. Der erste Schritt ist Prävention, da gehen wir in Schulen und informieren über Mobbing, unser Ziel dabei ist es, Jugendlichen mehr Empathie für andere zu vermitteln. Der zweite Schritt ist der Austausch und die Hilfe für die Betroffenen, z.B. die 24h-Hotline in Kooperation mit dem Kindernotruf, E-Mail- und persönliche Beratung. Der dritte Schritt ist besonders wichtig, nämlich ist das ein Programm, das nachbetreut, das ist unser BUDDY-Programm. Freiwillige Studentinnen und Studenten aus einem Psychologielehrgang treffen sich alle zwei Wochen mit den Jugendlichen, damit ein Austausch stattfinden kann. Die Jugendlichen sollen wissen, dass da jemand ist, der sich für sie interessiert, mit dem sie auch sprechen können, wenn sie das Bedürfnis dazu haben. Außerdem haben wir auch Seminare und Workshops für Betroffene zum Thema „Selbstbewusstsein stärken“.
Das wichtigste bei unseren Workshops ist, dass die Jugendlichen die verschiedenen Möglichkeiten erfahren, wie sie uns kontaktieren können, wenn sie Hilfe benötigen – auch anonym.

Ruhigere, ängstlichere Kinder, auch sehr gute Schüler, werden eher zu Mobbing-Opfern als charakterstarke.

• Merken Sie sofort nach einem Workshop, dass sich etwas bei den Jugendlichen verändert?
Wir sehen während den Workshops Veränderungen bei den Jugendlichen. Besonders wenn wir über die Folgen sprechen, von Gewalt, über Depression bis zu Suizid, dann merken wir, wie die Jugendlichen aufhorchen, und sagen, „Das hätten wir uns jetzt nicht gedacht.“

• Weshalb machen das Kinder überhaupt? Wieso wird gemobbt, ausgelacht und ausgegrenzt?
Wenn man sich diese Frage stellt, muss man sich auch selbst fragen: „Warum machen das Erwachsene?“. Da gibt es eigentlich keinen Unterschied. Meistens geht es darum: Wir machen andere runter, um selbst in einem besseren Licht zu stehen, bzw. um uns selbst aufzuwerten. Bei Jugendlichen kommt noch sehr oft der Gruppenzwang dazu. Wenn man in einer Gruppe ist, macht man mit, weil man sonst ausgegrenzt wird oder man Gefahr läuft, selbst Mobbingopfer zu werden. Das traurige ist, dass sehr viele Jugendliche, die mobben, selbst Mobbingopfer waren und sie haben diesen Weg eingeschlagen, um nie wieder in so eine Situation zu kommen.

• Was sagt es über ein Kind aus, wenn es mobbt?
In erster Linie heißt das, dass es Hilfe braucht, denn auf eine gewisse Art und Weise ist das ein versteckter Hilfeschrei. Der Jugendliche weiß nicht, wie er mit seinen Ängsten, seiner Wut, seiner Unsicherheit umgehen soll. Andere runterzumachen, gibt ein gewisses Machtpotential, das den Jugendlichen in der Klasse hervorhebt. Man darf auf keinen Fall denken, dass Jugendliche, die mobben, böse sind. So ist es auf keinen Fall! Man muss genau hinsehen, wird der Jugendliche vielleicht im privaten Umfeld kleingemacht oder abgewertet?

Studien haben belegt, dass ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler schon einmal Opfer von Mobbing war, bzw. auch schon einmal daran beteiligt war.

• Viele Eltern denken sich, „Mein Kind macht das nicht“, und fallen aus allen Wolken, wenn ihr Kind doch andere Kinder mobbt. Wie können Eltern zu Hause vorbeugen oder überhaupt erkennen, dass ihr Kind andere mobbt?
Eltern nehmen eine sehr wichtige Rolle ein, viele sind davon überzeugt, dass ihr Sohn oder ihre Tochter so etwas nie machen würde, später erfahren sie dann oft das Gegenteil.
Es ist als Eltern wichtig, bestimmte Werte wie Toleranz zu vermitteln, um vorzubeugen. Sie sollten auch hellhörig sein und schauen, wie die Kinder mit ihren Freunden und über Mitschüler sprechen, besonders ob abwertend gesprochen wird. Dann sollten Eltern auch aktiv eingreifen und nachfragen, um zu verhindern, dass ihre Kinder zu Mobbern werden.

• Welche Konsequenzen sollten Eltern ziehen?
Eltern müssen sich auf jeden Fall mit den Kindern hinsetzen und Gespräche führen, über Werte, Toleranz, Akzeptanz. Vor allem aber sollte auch über Dos und Don’ts im Umgang mit anderen gesprochen werden. Man sollte auch selbst darüber nachdenken, ob man etwas gesagt oder getan hat, weshalb sich das eigene Kind so verhält. Wenn man das verneinen kann, dann sollten Eltern auf jeden Fall Kontakt mit der Schule aufnehmen und immer wieder das Thema mit den Jugendlichen besprechen.
Wenn sich das Verhalten des Kindes dann verändert hat, sollten Eltern auf jeden Fall positiv auf die Kinder einwirken und ihnen zeigen, dass man das sehr gutheißt, um ihnen ein gutes Gefühl zu vermitteln, damit sie sich auch positiv wahrnehmen können.

Die Folgen von Mobbing reichen von Suizid, über Depression bis zu Gewalt.

• Unsere Zielgruppe sind Personen mit Migrationshintergrund. Hier müssen sich Kinder, wie auch Erwachsene häufig rassistische Sprüche oder Standardaussagen wie „Geh doch zurück, wenn es dir nicht passt“, „Lern doch Deutsch“ usw. anhören. Können Sie Tipps geben, wie man bei solchen Aussagen reagieren soll? Welche Anlaufstellen gibt es?
Unglücklicherweise gibt es kein Lehrbuch, wie man sich in solchen Situationen verhält. Gerade Personen mit Migrationshintergrund, sei es Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, kommen sehr oft in Situationen, in denen sie angefeindet werden, z.B. in der U-Bahn, an öffentlichen Orten, in der Klasse usw. Meine persönliche Meinung ist, Situationen aus dem Weg zu gehen, wenn ich angefeindet werde, versuchen es zu ignorieren, wegzugehen, sich an Menschen zu wenden, die einen unterstützen. Aber es ist immer von der Situation und von der Person abhängig, wie man reagiert. Letztendlich aber führt eine Konversation oder eine Auseinandersetzung zu nichts, weil man wird Menschen, die einen schon so anfeinden, nie dazu bekommen, Verständnis aufzubringen, sondern man wird die Situation immer nochmals aufbauschen.
Dass das keine tolle Lösung ist, die ich als gut empfinde, ist eine Tatsache, aber für mich die beste Lösung – und das würde ich jetzt genauso Menschen sagen, die wegen ihrer Figur oder anderem angefeindet werden – letztendlich sind das für mich einfach primitive Menschen, die es nicht verdienen, dass man ihnen Aufmerksamkeit schenkt.
ZARA ist eine tolle Anlaufstelle für Menschen, die wegen ihren Wurzeln angefeindet werden.
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3 Tipps bei Mobbing:
• ignorieren
• sich jemandem anvertrauen
• sich nicht runtermachen lassen

• Gibt es bestimmte Strategien, die für alle Arten des Mobbings funktionieren und die man ganz einfach erlernen oder anwenden kann?
Ich kann nur Tipps geben, die die Situation erleichtern, der erste Tipp ist auch der schwierigste, nämlich, dass man Dinge, die man an den Kopf geworfen bekommt, ignoriert, nicht darauf eingeht und nicht zeigt, dass es einen trifft. Das ist sehr schwierig, aber wenn die Mitschüler sehen, das macht dem gar nichts aus, dann wird es ihnen ziemlich sicher bald langweilig und sie lassen ab.
Der zweite, noch viel wichtigere Tipp ist, dass man sich jemandem anvertraut, dass man darüber spricht. Man hat dann jemanden, der einem helfen kann, weil meist schafft man es aus eigener Kraft nicht, aus der Situation herauszukommen.
Der dritte Tipp ist, sich nicht runtermachen zu lassen, sich nicht davon überzeugen zu lassen, dass man nichts wert ist. Oft geben sich Mobbingopfer dann sogar selbst die Schuld an der Situation, weil sie sagen, ich bin nichts wert.

Es ist wichtig zu sagen: „Wir sind fürdich da!“

• Wie kann man anonym mit Ihnen in Kontakt treten?
Man kann uns eine E-Mail an helpme@buddy4you.at schreiben.

• Möchten Sie noch etwas ergänzen?
An alle Eltern und Lehrpersonen, wenn Sie denken, dass mit einem Kind etwas nicht stimmt, sprechen Sie es in einer ruhigen Minute darauf an, geben Sie ihm das Gefühl, dass Sie für es da sind, dass Sie ihm zuhören. Viele Jugendliche öffnen sich nicht beim ersten, zweiten oder auch nicht beim dritten Mal. Es ist wichtig ihnen zu sagen, „Wir sind für dich da“, aber auf keinen Fall sie unter Druck zu setzen.

Herr Glück, ich bedanke mich für das interessante und aufschlussreiche Interview.

 

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